Releasetermin: 19.10.2017
Genre: Adventure
Entwickler: Deck Nine
Herausgeber: Square Enix
Vor einigen Wochen startete Deck Nine mit Life is Strange: Before the Storm eine dreiteilige Prequel-Reihe zu Dontnods Überraschungs-Hit Life is Strange. Nach der ersten Episode „Erwacht“ blieb ich Anfang September sehr zwiegespalten zurück: Charaktere und Dialoge ließen schon früh interessante Thematiken vermuten, die noch recht geringen Auswirkungen meiner Entscheidungen waren allerdings etwas ernüchternd. Trotzdem blieb ich gespannt, wie die Folge-Episode „Brave New World“ an das emotionale Ende von „Erwacht“ anknüpfen würde – und wurde überrascht! Da dieser Test sich nur mit „Brave New World“ beschäftigt, ist es ratsam auch unseren Test zur vorherigen Episode gelesen zu haben, zudem sind Spoiler zum Serienauftakt nicht auszuschließen.
Eine komplizierte Liebe
Dank des kurzen Rückblicks und der langsamen Einführung fühlt man sich trotz der Sendepause von knapp eineinhalb Monaten schnell wieder zurecht. Das zurückliegende Schulschwänzen bleibt für Rachel und Chloe natürlich nicht ohne Konsequenzen. Während Rachel lediglich ihre Rolle im Theaterstück abgeben muss, wird unsere Protagonistin und Wiederholungstäterin Chloe für den Rest des Jahres von der Schule suspendiert. Dass dies natürlich neues Feuer für die ohnehin schon komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater ist, ist unausweichlich. Apropos Feuer: Rachels Ausraster am Ende der ersten Episode, bei der sie wutentbrannt einen fackelnden Mülleimer umgeschmissen hatte führte tatsächlich zu einem großflächigen Waldbrand – die uns bekannten Brandstifter werden aber nach wie vor gesucht.
Doch das soll uns zunächst nicht weiter kümmern: im Mittelpunkt der zweiten Episode steht weiterhin die Beziehung der beiden Mädchen, die zunehmend wie mehr als nur gute Freundschaft wirkt. Nach wie vor bleibt Deck Nine dem Prinzip der Reihe treu und vermittelt die Charakterentwicklung in sehr glaubwürdigen sowie natürlichen Dialogen und übertrifft in dieser Episode in meinen Augen sogar in weiten Stücken das Originalspiel Life is Strange, bei dem emotionale Szenen oft etwas zu kitschig wirkten. Before the Storm scheint jene Momente perfekt zu beherrschen und kann rührend sein ohne dabei zu künstlich auf die Tränendrüse zu drücken – unter anderem ist dies auch der Protagonistin zu verdanken, die anders als Max Caulfield eigentlich überhaupt nicht die Art Mensch für Gespräche über die eigenen Gefühle ist.
Faszinierende Geschichten – auch abseits von Chloe Price
Doch auch in „Brave New World“ bleibt die Geschichte nicht einseitig. Diverse interessante Randfiguren geben der Handlung viel mehr Gehalt, da das Ausmaß einzelner Aktionen deutlich gezeigt wird. Damit meine ich nicht die Auswirkungen meiner Entscheidungen – diese äußern sich zwar in vielen Dialogen und wirken so bedeutsam, haben aber nach wie vor keine drastischen Alternativwege geschaffen. Viel mehr ist es spannend zu sehen, wie Chloes Mutter unter dem brüchigen Familiengeflecht und ihrer Geldnot zu leiden hat und in schwierigen Entscheidungen zwischen ihrer Tochter und ihrem Freund steht. Oder auch Rachels Eltern, die erstmals auftauchen und der „Freundschaft“ zwischen ihr und Chloe eher skeptisch gegenüberstehen. Oder Eliot, der offensichtlich auch etwas für Chloe empfindet und Konversationen mit ihm somit nicht unkompliziert gestalten.
Neben der Natürlichkeit der Dialoge ist in „Brave New World“ auch die zeitliche Entwicklung hervorragend gewählt: kein Gespräch wirkt überhetzt, keine platzierte Figur zu viel. Was in der ersten Episode noch ein großer Kontrast zum Hauptspiel war, war die fehlende übernatürliche Komponente des Zeitreisens. Doch auch wenn diese einen Großteil der Faszination und des Entscheidungsspiels von Life is Strange ausmachte, spätestens nach der zweiten Episode von Before the Storm vermisse ich diese nicht mehr. Gerade weil die Handlung etwas bodenständiger ist können sich viele emotionale Momente noch viel besser entfalten, zudem sind Entscheidungen final und wirken somit bedeutsamer. Und magisch ist die Geschichte irgendwie trotzdem: die großartige Musikauswahl wirkt in „Brave New World“ tatsächlich noch einmal stärker als schon zuvor. Die Entwickler wissen genau, wann sie den einzigartigen Indie-Rock-Soundtrack einsetzen müssen um das Gefühlschaos des Spiels noch intensiver wirken zu lassen. Mal mit Gesang, mal nur als Instrumental, mal laut und mal verschwindend leise. In Zeiten wo viele Soundtracks trotz großartiger Qualität in Vergessenheit geraten, schafft Life is Strange: Before the Storm es insbesondere mit der zweiten Episode die musikalische Untermalung mit bleibenden Erinnerungen zu verbinden