Releasetermin: 05.06.2018
Medientyp: Blu-ray Disc, Download
Genre: Action-RPG
Entwickler: Dontnod Entertainment
Herausgeber: Focus Home Interactive
Die französischen Entwickler von Dontnod Entertainment sind sicherlich am besten bekannt für das erste Life is Strange-Spiel. Mit diesem Titel bewies das Studio, dass es eine tolle Geschichte erzählen und Spieler mit einer interessanten Erzählweise fesseln kann. Auch wenn Dontnod derzeit an einer zweiten Staffel arbeitet, sind nun erst einmal alle Augen auf den neuen Titel gerichtet, der auf den Namen Vampyr hört. Das Spiel, in dem sich offensichtlich alles um Vampirismus dreht, setzt einmal mehr eine große Betonung auf seine Geschichte. Mit einem ausgefeilten Kampfsystem im Gepäck bietet der Titel allerdings wesentlich mehr Action als Life is Strange. Geht die Mischung auf? Erfahrt mehr in meinem Test.
Plötzlich Vampir
Vampyr spielt im Jahre 1918, während die Spanische Grippe ihr Unwesen treibt. Der Protagonist Jonathan Reid, der als Arzt im Ersten Weltkrieg eingesetzt war, kehrt in seine Heimat London zurück. Doch dort hört das Elend nicht auf. Der renommierte Arzt, der für sein Wissen über Bluttransfusionen bekannt ist, wird von einem Vampir gebissen und wird selbst zum blutdürstigen Schreckgespenst. Noch von der Erkenntnis paralysiert, dass es tatsächlich Wesen wie Vampire gibt, schließt Dr. Reid den Plan, das gefährliche Monster zu suchen, das ihm diese Verwandlung angetan hat. Zeitgleich möchte er sich damit beschäftigen, das mit der Wissenschaft unerklärliche Phänomen zu untersuchen und ein Heilmittel zu finden. Gäbe es da nicht nur ein Problem: Als frisch gewordener Vampir steht der Protagonist immer wieder vor der moralischen Frage, wie er seinen Durst nach Blut stillen soll…
Dialoge und Figuren toll ausgearbeitet
Mich hat die Geschichte von der ersten Sekunde an gefesselt. Zum einen behandeln Videospiele erstaunlich selten das Thema des Vampirismus, weshalb sich der zentrale Inhalt recht unverbraucht angefühlt hat. Zum anderen ist die Story schlicht gut umgesetzt und besticht mit einer hervorragenden Atmosphäre. Das London des frühen 20. Jahrhunderts ist toll inszeniert und bringt mit seinen Bürgern gelungen ein Gefühl der Angst und Bedrücktheit herüber. Am meisten arbeitet das Spiel bei der Etablierung der Handlung mit seinen Figuren. Vampyr konfrontiert uns im Laufe des Spiels mit etwa 60 Charakteren, die fast alle interessante Hintergrundinformationen zu bieten haben.
Auch wenn der Titel durchaus viel Action in petto hat, ist er unverkennbar darauf ausgerichtet, eine Geschichte zu erzählen. Fans von Life is Strange werden sich über die unzähligen Dialoge freuen, in denen der Spieler nach eigenem Ermessen Fragen stellen kann. Bei jeder neuen Figur bietet das Konversationssystem eine Handvoll Themen aus, über die Reid und sein Gesprächspartner sich unterhalten können. Manch einem Spieler mag es ausreichen, nur die nötigsten Gesprächsoptionen zu wählen und schnell voranzuschreiten. Mich hat es aber sehr unterhalten, mir die gut geschriebenen Dialoge anzuhören und mehr über die Spielwelt, die Charaktere und ihre Probleme zu erfahren. Zudem gibt es immer wieder Entscheidungsmöglichkeiten, die den weiteren Verlauf der Geschichte beeinflussen.
Ein herzensguter Protagonist, dem es nach Blut dürstet
Dr. Reid unterhält sich allerdings nicht nur interessehalber mit seinen Mitmenschen. Es gilt, möglichst viel über die Personen herauszufinden, was vorrangig über ein Hinweise-System gelingt. Gesprächsoptionen, die Erkundung und das Absolvieren von Nebenmissionen können Hinweise freischalten, die weitere Abzweigungen in den Konversationen ermöglichen. Kommen wir zum makabersten Aspekt des Spiels: Dr. Reid kann jede Spielfigur töten und blutleer saugen. Wie sehr es sich lohnt, einem Charakter auf diese Weise das Leben zu rauben, hängt davon ab, wie viel wir über die Person wissen. Je mehr Hinweise freigelegt wurden, desto mehr XP warten auf den Arzt nach dem tödlichen Biss. Da Dr. Reid an für sich ein herzensguter Mensch ist, steht ihm natürlich auch die Möglichkeit offen, völlig unschuldig durch das Abenteuer zu gehen und seinem Blutdurst zu widerstehen. Das lässt ihn jedoch immer schwächer werden und macht andere Aspekte des Spiels zur schwierigen Angelegenheit.
Wer möchte, kann das Monster jedoch auch ganz rauslassen und sich völlig dem Vampirismus widmen. Doch auch diese Spielweise birgt eine Gefahr. Der Schauplatz ist in vier Bereiche unterteilt, die einen eigenen „Gesundheitszustand“ bieten. Die Bürger der Stadt bekommen mit, wenn andere Mitmenschen spurlos verschwinden und werden immer misstrauischer. Das kann dazu führen, dass Gesprächspartner weniger Informationen preisgeben oder letzten Endes gar nicht mehr mit uns sprechen. So bleibt dem Spieler überlassen, welchen Weg er gehen möchte. Ich hatte stets die Frage der Moral im Hinterkopf und versuchte, mir wenig zu Schulden kommen lassen. Ganz ohne Opfer habe ich mein Abenteuer aber auch nicht beendet. Mir hat dieses Konzept gefallen und ich fand auch gut, dass man durch das Hinweis-System abwägen muss, ob man bereits ausreichend XP erhalten würde oder noch weitere Informationen beschaffen sollte. Die Balance in dieser Spielmechanik zu finden, ist einer der zentralen Aspekte der Spielerfahrung.
Viele Aufgaben und nette Fähigkeits- und Craftingsysteme
Dr. Reid nimmt einen Job im Pembroke Hospital an, in dem er die Blutprobe eines Infizierten untersuchen kann. Dass er mit vielen Patienten in Kontakt kommt, die für ihn potentielle Opfer sind, ist ein netter Bonus. Während Vampyr seinen Spielern stets eine Story-Mission bietet, können wir auch Aufgaben für die Nebenfiguren erfüllen. Dafür gibt es XP und wie erwähnt häufig neue Hinweise, die die XP-Ausbeute eines NPCs erhöhen, sollten wir ihn blutleer saugen wollen. Für die Absolvierung der Story sollte man rund 15 Stunden einplanen. Wer alle Missionen erledigen und alle Sammelobjekte finden möchte, kann rund mit der doppelten Spielzeit rechnen. Das macht einen soliden Umfang aus. Mich hat zwar nicht jede Aufgabe bestens unterhalten, aber grundsätzlich ist für eine gehörige Portion Abwechslung gesorgt.
Und wofür benötigen wir die Erfahrungspunkte, für die wir Bewohner von London töten sollen? Vampyr bietet ein Fähigkeitssystem, in dem wir aktive und passive Skills freischalten und aufwerten können. Dr. Reid kann durch XP zum Beispiel seine Gesundheitsleiste und seine Ausdauer erweitern. Zudem kann er aber auch diverse Fertigkeiten erlernen, beispielsweise das Werfen eines Blut-Speers oder das kurzzeitige Errichten einer Blut-Barriere. Mit diesem RPG-Element sorgt das Spiel für Motivation und vermittelt ein befriedigendes Fortschrittsgefühl.
Weiterhin verfügt Vampyr über eine Art Crafting-Komponente. In jedem der vielen Unterschlüpfe, die Dr. Ried in ganz London findet, kann der Vampir seine gefundenen oder gekauften Waffen aufrüsten. Dafür nutzt er diverse Ressourcen, die wiederum in der Spielwelt in Kisten versteckt sind. Diese Crafting-Option wird besonders für all diejenigen wichtig, die ihre Mitmenschen weitestgehend verschonen möchten. Wer seine NPCs kaum tötet, erhält durch Absolvierung von Missionen nur wenige XP und kann dementsprechend nur wenige Fertigkeiten freilegen. Es ist schön, dass diese Spieler dennoch eine Möglichkeit haben, durch verbesserte Waffen stärker zu werden.
Ein Kampfsystem, das sich zu unausgewogen präsentiert
Kommen wir zu einem Aspekt, der mich nicht voll und ganz überzeugen konnte. Das Kampfsystem nimmt in Vampyr einen hohen Stellenwert ein. In London treiben viele gefährliche Vampire und auch Jäger, die es auf uns abgesehen haben, ihr Unwesen. Um sich zu verteidigen, kommt Dr. Reid häufig nicht drum herum, in den Kampf zu ziehen. Das Kampfsystem hat eine große Betonung auf Ausdauer, da jedes Manöver Ausdauer verbraucht. Wir haben ein- und zweihändige Waffen zur Verfügung, mit denen leichte und schwere Angriffe ausgeführt werden können. Auch auf eine Fernkampfwaffe kann der Protagonist zurückgreifen. Gegner kommen mit unterschiedlichen Widerstandswerten daher, können also quasi immun gegen Nah- oder Fernangriffe sein. Das sorgt dafür, dass man seinen Kampfstil immer an seine Gegner anpasst.
Das Ausweichen und Parieren von Angriffen ist ebenfalls enorm wichtig, wenn man im Kampf überleben möchte. Schleicht man sich an einen Feind heran, ergibt sich die Option, den Gegner per “Biss” massiv zu schwächen und ihm Blut auszusaugen. Diese “Biss”-Funktion taucht auch immer wieder mitten im Gefecht auf. Abgerundet wird das Kampfsystem mit den verschiedenen aktiven Fähigkeiten, die zur Aktivierung Blut benötigen, das wir über den Biss-Angriff erlangen. Das Kampfsystem hat viele nette Ideen und hat mir gerade zu Beginn sehr viel Spaß gemacht. Es mag sich nicht so flüssig anfühlen wie beispielsweise ein Bloodborne, macht aber im Grunde genommen vieles richtig. Ich habe mich jedoch etwas daran gestört, wie schwer das Geschehen wird, wenn man auf die Tötung von NPCs verzichtet. Mit nur wenigen freigeschalteten Fähigkeiten werden die Gefechte im Verlauf des Spiels zur Herausforderung.
Man schafft sich quasi seinen eigenen Schwierigkeitsgrad, der davon abhängt, wie sehr man den Vampirismus in Schach hält. Doch anstatt eine angenehme Herausforderung darzustellen, präsentierte sich Vampyr mir manchmal als frustrierendes Erlebnis. Daran ist vor allem die Kamera schuld, die es mir gelegentlich schwer machte, meine Feinde im Blick zu behalten. In manch enger Gasse raubten mir die Wände die Übersicht. Was für mich aber zum größeren Problem wurde, ist die Eintönigkeit des Kampfgeschehens. Schnell fand ich eine Waffe, die ich aufrüstete und mit der ich guten Schaden austeilen konnte. Ich stufte die Waffe immer weiter auf und kam mit dieser gut durchs Spiel, nutzte immer dieselbe Herangehensweise. Dadurch spielten sich fast alle Gefechte gleich und nach wenigen Stunden kam ein repetitives Spielgefühl auf. Während die Geschichte und das Moralsystem toll ausgearbeitet wirken, zeigt sich bei den Kämpfen nach wenigen Stunden, dass hier die richtige Abstimmung fehlt.
Hübsch, atmosphärisch und klanglich gut – aber mit technischen Problemen
Grafisch bietet Vampyr einige sehr netten Effekte, die die gelungene Atmosphäre unterstützen. Dichter Nebel, eine schmutzige Stadt und knallrote Bluteffekte, die Dr. Reid mit seinen „Vampirsinnen“ sehen kann, tragen zum stimmigen Gesamtbild bei, das Vampyr kreiert. Auch viele Gesichtsanimationen der NPCs können überzeugen, ebenso hat die Umgebung viele Details zu bieten. Eine farbenfrohe Darstellung darf man nicht erwarten, aber die düstere Optik passt allemal gut zur Atmosphäre.
Grundsätzlich hat mir die Grafik also gut gefallen, allerdings kommt sie mit einigen Problemen daher. Das Spiel hat mit lästigem Pop-In zu kämpfen, sodass immer wieder Objekte in der Ferne spontan aufploppen oder detaillierte Texturen erst eine Sekunde laden müssen. Zudem fallen die Animationen beim Rennen und Kämpfen etwas hölzern aus. Was mich aber am meisten gestört hat, sind regelmäßige Einbrüche der Framerate. Selbst auf der PS4 Pro, die meines Wissens keine grafischen Zusatzeffekte und auch keine erhöhte Auflösung zu bieten hat, sind des Öfteren Framedrops zu beobachten. Das geschieht sowohl in hitzigen Momenten im Kampf als auch in ruhigen Situationen der Erkundung. Weiterhin haben mich die langen Ladezeiten gestört, die allen voran nach einem Tod auftreten. Während der Grafikstil und der Detailgrad durchaus überzeugend sind, hat Vampyr leider mit technischen Problemen zu kämpfen.
Besser steht es da um die akustische Umsetzung. Die englischen Sprecher leisten tolle Arbeit und füllen die Figuren mit Leben. Ebenfalls trägt die musikalische Untermalung dazu bei, dass sich die triste Atmosphäre voll entfaltet.